Die aus Tschechien stammende Künstlerin Květa Schubert dokumentiert den Alltag der europäischen Roma
Květa Schubert lässt sich schwer in einem Satz beschreiben. Die 40-jährige Wahl-Wienerin ist unter anderem Romni, Tschechin, Österreicherin, Fotografin, Filme- und Theatermacherin, Freizeitpädagogin, Radio-Redakteurin und Mutter.Im Gespräch mit derStandard.at erzählt sie aus ihrem Leben, von ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund und dem Versuch, Brücken zwischen Roma und Nicht-Roma zu bauen.Betritt man das Haus der Familie Schubert im 21. Wiener Gemeindebezirk, fühlt man sich sofort wie ein alter Freund.
Es gibt Essen, Kaffee und Süßes, und nach wenigen Minuten in der gemütlichen Atmosphäre des bunten
Wohnzimmers hat man fast vergessen, dass man eigentlich beruflich hier ist. „Warst du schon einmal bei
einer Roma-Familie zuhause?“, lacht Květa Schubert. „Gastfreundschaft wird bei uns groß geschrieben!“
Roma in der Sonderschule
Květa Schubert wurde als jüngstes von sieben Kindern in eine Roma-Familie im tschechischen Kadan,
etwa hundert Kilometer von Prag entfernt, geboren. Die Eltern, beide aus einfachen Verhältnissen, waren
wie viele Roma Ende der 1960er Jahre auf der Suche nach Arbeit aus der slowakischen Teilrepublik nach Tschechien gekommen.
„Meine Eltern waren für mich immer große Vorbilder“, sagt Schubert. „Sie haben mir gezeigt, wie man mit Arbeit und Engagement etwas schaffen kann.“ Der Vater fand Arbeit im Straßenbau, die Mutter sparte jahrelang und eröffnete nach der Wende eine Boutique – obwohl sie nie lesen und schreiben gelernt hatte. Die Eltern setzten sich für die Schulbildung ihrer Kinder ein, Schubert und ihre Geschwister gehörten zu den wenigen Roma in der Kleinstadt, die die Volksschule besuchen durften. Die meisten anderen wurden in Sonderschulen gesteckt.
Dokumentation des Elends
In Prag entdeckte Schubert als junge Frau die Fotografie für sich und begann, das Leben der Roma zu dokumentieren. Eine Leidenschaft, die zu einer Aufgabe geworden und bis heute geblieben ist. Sie reiste durch Osteuropa und fotografierte den Lebensalltag in Romasiedlungen. „Es ist unvorstellbar, in welchem Elend die Menschen in diesen Ghettos teilweise leben, ohne Zugang zu sauberem Wasser, ohne Elektrizität und ohne Informationen und Wissen über ihre Rechte“, erzählt Schubert.
Im Urlaub lernte sie in Wien ihren heutigen Mann kennen. „Er ist die Liebe meines Lebens“, strahlt sie. Gemeinsam mit ihrer Tochter aus einer früheren Beziehung übersiedelte sie nach Wien, bald kam auch ein Sohn zur Welt. Anfangs war es schwierig, sich in Österreich zurecht zu finden und Deutsch zu lernen, aber die Familie ihres Mannes habe sie sehr unterstützt, erzählt Schubert. „Ich bin jetzt seit zehn Jahren hier, mittlerweile liebe ich das Land und fühle mich als Wienerin.“
Kein Zutritt für Roma
Ihre erste Foto-Ausstellung in Wien wurde 2006 gezeigt. Unter dem Titel „Zigeuner“ (in Anführungszeichen) waren Bilder aus Romasiedlungen in der Slowakei und Mazedonien zu sehen. Zu ihrer Überraschung wurde die Ausstellung von einigen österreichischen Roma-Vereinen scharf kritisiert. Man warf ihr vor, die Bilder würden nur negative Klischees von verarmten, isolierten Roma zeigen und damit Vorurteile verstärken, erzählt Schubert.
Natürlich müsse man das zeigen, empört sich die Fotografin. „Mir geht es gut und ich habe gesehen, wie die Menschen dort leben, das kann man nicht einfach ausblenden.“ In der Slowakei habe sie Rassismus erlebt, wie sie es im heutigen Mitteleuropa nicht für möglich gehalten hätte. „Ich war dabei, als einem Roma-Mädchen mit einem medizinischen Notfall der Zutritt ins Krankenhaus verweigert wurde, das Kind und die Eltern mussten wie die Hunde draußen warten“, erzählt Schubert.
Angst, mit Armut konfrontiert zu werden
Erlebnisse wie dieses bestärkten sie bei ihrer Arbeit. Roma, die Zugang zu Bildung und Wohlstand haben, sollten anderen helfen, anstatt sich von deren Armut abzugrenzen, sagt sie. Aber das sei kein spezifisches Problem der Roma, sondern ein generelles gesellschaftliches Phänomen. Aus dieser Beobachtung entstand auch die Idee für ihren Film über Bettler in Wien.
Kurz nach ihrer Ankunft in Wien fiel ihr auf, dass immer mehr Bettler auf den Straßen zu sehen waren. Sie begann, die Reaktionen der Passanten zu beobachten. „Ich hatte das Gefühl, dass viele Menschen Angst hatten, Bettler anzuschauen, mit deren Armut konfrontiert zu werden“, erzählt Schubert. „Das Thema war damals noch kaum in den Medien, aber es war der Beginn der Diskussion, die bis heute geführt wird.“
Mit einer Kamera und ihren beiden Kindern an der Hand begann sie, auf der Straße Interviews zu führen. Aus den Gesprächen mit Passanten und Bettlern entstand der Film „Straßenkunst – Kunst zum Überleben“ (edition exil, 2007). Gemeinsam mit dem Verein Exil veranstaltete sie regelmäßige Workshops für Schüler, bei denen ihre Arbeiten gezeigt wurden.
Ausbildung in Interkulturalität
In den folgenden Jahren arbeitete Schubert unter anderem als AMS-Beraterin und Trainerin, absolvierte eine Ausbildung zur Freizeitpädagogin und organisierte ein einjähriges Theaterprojekt mit Jugendlichen aus unterschiedlichen Herkunftsländern. „Wir haben Romeo und Julia in einer Hip Hop-Version mit Break Dance aufgeführt, das war ein Riesenspaß und ein voller Erfolg“, erzählt sie.
Seit 2011 besucht sie einen Lehrgang zur Ausbildung interkultureller Mitarbeiter an der niederösterreichischen Landesakademie in St. Pölten. In Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule erwerben in diesem viersemestrigen Lehrgang Migrantinnen und Migranten Qualifikationen für interkulturelle Bildung im Volksschulwesen. Sie arbeiten gemeinsam mit den KlassenlehrerInnen während des Unterrichts und unterstützen insbesondere Kinder mit Sprach- und Lernschwierigkeiten.
Mehr Vertrauen in Bildung
Die interkulturellen Mitarbeiter sollen aber nicht nur den Kindern zur Seite stehen, sondern auch Ansprechpersonen für die Eltern sein. Schon während der Ausbildung ist sehr viel Praxis in Schulen vorgesehen, Schubert ist bis zum Ende ihres Lehrgangs im Juni an der Volksschule Gänserndorf tätig.
Sie wünsche sich, dass mehr Roma-Kinder die Chance auf Ausbildungen hätten, sagt Schubert. „Auch die Eltern müssen mehr Vertrauen gewinnen in Bildung“, ergänzt sie. Roma sollten stärker Teil der jeweiligen Mehrheitsgesellschaften werden, ohne ihre Herkunft zu verleugnen. „Dafür braucht es Respekt und Anerkennung – von beiden Seiten.“
„Rassismus? Mit mir nicht!“
Auch in Österreich sei sie schon öfter rassistisch beschimpft worden, erzählt Schubert. Aber sie komme aus einer starken Familie und habe sich nie etwas gefallen lassen. „Als ich noch nicht gut Deutsch konnte, war es natürlich schwieriger. Aber das Wichtigste ist, dass man seine Rechte kennt und Zivilcourage hat. Rassismus? Mit mir nicht!“ (David Rennert, derStandard.at, 8.4.2013)
mehr im „EXIL“
exil zentrum für
interkulturelle kultur und antirassismusarbeit
roma.theater.exil – roma.klang.theater.exil – edition exil
leitung: christa stippinger
übernomen von (derStandard.at)