In Amerika sind Schriftsteller-Biografien ein eigenes Kinogenre. In Deutschland wagt man sich höchstens mal an tote Klassiker. Dabei wäre das Leben des coolen Handke längst einen eigenen Film wert.
Ja, eventuell war es auch eine Berlinale der Literaten: Auf den Leinwänden des Festivals wurden ein französischer Literaturstar entführt (Michel Houellebecq), ein deutscher Klassiker von zwei Schwestern verführt (Schiller) und ein Stasi-Spitzeldichter überführt (Sascha Anderson). Über kinofähige Schriftstellerviten muss man sich vorerst keine Sorgen machen. Oder doch?
Kürzlich hat die „FAZ“ über die Schuld der Heinrich-Breloer-Dramen am Thomas-Mann-Kitsch nachgedacht. Und die „Zeit“ sorgte sich mit Blick auf die anhaltende Konjunktur von Biopics der amerikanischen Beatpoeten: Sind deutsche Schriftstellerbiografien fürs Kino überhaupt international konkurrenzfähig? Es sei, so das Blatt, jedenfalls ein echtes Problem der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, dass zwar Peter Handkes „Linkshändige Frau“ verfilmt worden sei, aber nie Peter Handke.
Von der Gruppe 47 bis zu Milošević
Handke als Filmstoff? Für ein solches Epos hätte man sofort ein paar Szenen im Kopf: Seinen Auftritt beim Kongress der Gruppe 47, 1966 in Princeton. Seine Hände beim Pilze-Putzen, von Lilian Birnbaum in einem Bildband über sein Zuhause bei Paris schon vor Jahren wie ein perfektes Filmstill festgehalten. Peter Handke und Hubert Burda. Handke am Grab von Slobodan Milošević und last but not least: Handke als Kinogänger. Nicht umsonst hat er 1980 Walker Percys „Der Kinogeher“ ins Deutsche übersetzt, einen Roman über einen Maniac, der der das kulinarische Kino, mit dem sich die Berlinale gerne brüstet, gleichsam vorgedacht hat („Filme riechen“).
„Peter Handke und das Kino“ – vielleicht sollte man über diese Liason wirklich ernsthaft nachdenken. Lothar Struck, ein Blogger, der alles über Handke weiß („Welt“ vom 2. September 2010), hat kürzlich ein kleines, kluges Büchlein publiziert, das die Handke-Gemeinde ebenso erfreuen dürfte wie alle Berlinale-Besucher, die noch frischen Phantomschmerz verspüren („Der Geruch der Filme“, Mirabilis-Verlag. 16,80 €).
„Nachmittags in der Regel von Kino zu Kino“
Wie kaum ein zweiter deutschsprachiger Schriftsteller der Gegenwart bürgt nämlich Handke für Cinéphilie. Wenn er seinem Verleger Siegfried Unseld 1970 schreibt, wie er nachmittags „in der Regel von Kino zu Kino“ flaniere, kann man nur neidisch werden. Handke steht für das Berlinale-Gefühl mit mehreren Filmen pro Tag an einen ganz normalen Werktag.
Auch sein Romanschaffen, das plotsüchtige Leser gern mit dem Werktitel „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“ verunglimpfen, kennt Helden, die wie Gregor Keuschnig in der „Niemandsbucht“ schon mal sagen: „Ich kenne wohl die vollständige Hollywoodproduktion der letzten drei Jahre“.
Er saß schon mal in der Cannes-Jury
Handke selbst saß schon in der Jury von A-Festivals (Cannes 1989), und er war, wenn auch das als Kinoaffinität zählt, mit mehr Schauspielerinnen liiert als jeder andere lebende deutschsprachige Schriftsteller seiner Liga: Libgart Schwarz, Marie Colbin, Sophie Semin, Katja Flint…
Strucks Versuch über den Filmnarren Handke ist ein Essay im Zweikanalton: Man kann einerseits jede Menge Filme und Regisseure studieren, zu denen der Meister sich in seinen literarischen Werken, in Briefen und Gesprächen „dezidiert“ geäußert hat. Den Altmeister John Ford erklärt er zum „Shakespeare des Kinos“; Pasolini liebt er für seinen „Accattone“ und einem Tarantino bescheinigt er die gleiche „Subtilität“ wie einem Eric Rohmer.
Tarantino ist subtil wie Rohmer
Andererseits zeichnet Strucks Essay aber auch die filmischen Adaptionen von Handkes Romanen und seine Karriere als Filmschaffender nach. Denn, was viele heute fast vergessen haben: Handke hat in vier Filmen selbst Regie geführt, an zwei weiteren mitgearbeitet und zusammen mit dem befreundeten Wim Wenders das Drehbuch für „Der Himmel über Berlin“ geschrieben. Dabei hat er einige Preise eingeheimst.
Es gab aber auch immer Kritik an den Handke-Filmen: „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, „Falsche Bewegung“ oder „Die linkshändige Frau“ stehen nicht gerade für Action-Kino, sondern für lange, bisweilen langatmige Einstellungen. In der eben zu Ende gegangenen Berlinale hätte man Handke als Zuschauer wohl am ehesten in der Retrospektive von „Akibiyori“ angetroffen. Yasujiro Ozu zählt zu Handkes wie Wenders’ Hausgöttern.
Seit Jahren glänzt er durch Abwesenheit
„Die Abwesenheit“ ( „L’Absence“), ein Flop beim Festival von Venedig 1992, war Handkes bislang letzte Arbeit als Drehbuchautor und Regisseur. Vielleicht haben ihm die schlechten Kritiken gereicht; vielleicht hat ihn auch Jugoslawien zu sehr absorbiert. Jedenfalls, 2004 in der „Welt“ von seinem früheren Regie-Assistenten Peter Stephan Jungk gefragt: „Hast du nicht Lust, wieder einen Film zu machen?“, lautete Handkes Antwort: „Du lässt mich in Frieden, ja? Obwohl … ein Drehbuch … darauf hätte ich sogar sehr große Lust.“
Zehn Jahre später darf die Handke-Gemeinde weiter gespannt warten. Die Branche an sich („Kino. Dafür werden Filme gemacht.“) muss erst noch entdecken, welchen Testimonial sie mit Handke hat: „Ein Wesentliches“, so Handke, „muss man dem Kino lassen: Es ermöglicht immer noch Heimwege, ganz spezielle, und dann und wann immer noch herzhaft schöne.“
Lothar Struck: Der Geruch der Filme. Peter Handke und das Kino. Mirabilis Verlag, Leipzig. 92 Seiten, 16,80 Euro. Objavio DIE WELT